aussichten: Half Moon Bay
             
             
   
  
     
         
             
      HALF MOON BAY      
             
 
 
Wahrscheinlich hat jeder Mensch irgendwo in sich die Neugier eines Reporters. Wenn sich ein an und für sich harmloses Gespräch der Fliegerei zuwendet, dann muss man damit rechnen, früher oder später gefragt zu werden: Und? Was hatten Sie bisher für Notfälle? So richtige?

Tja, ich kann mich wirklich nicht beklagen. Technische Probleme, insbesondere in den zurückliegenden neuntausend Flugstunden auf der Boeing 777, waren dermaßen esoterisch und letztlich undramatisch, dass der Versuch einer Erklärung jedem Gespräch schnell wieder eine andere Richtung gibt. Da war eigentlich nur dieser Druckabfall im mittleren Hydrauliksystem, der uns veranlasste, mit reduzierten Landeklappen in Wien zu landen. Viel macht das nicht her. Und das ist ja auch gut so.

Meine ersten hundert Stunden in der Fliegerei, die allerdings hatten es sich in sich. Noch in der Ausbildung begriffen und mit einmotorigen Flugzeugen unterwegs, da hat das Schicksal die ihm zugedachte Fehlerquote ganz erheblich überschritten.

 

     
     

 

     
     

Allgemein geht man beispielsweise davon aus, dass bei kleineren Flugzeugen mit einem herkömmlichen Kolbenmotor etwa alle 10.000 Betriebsstunden mal der Propeller stehen bleibt und man sich im Segelflug üben muss. Als mir das bereits in Flugstunde Nummer 93 passiert, bin ich dementsprechend versucht, es einfach nicht zu glauben.

Erschwerend kommt hinzu, dass ich einen guten Freund eingeladen habe, mitzufliegen. Es ist sein erster Kontakt mit einem Kleinflugzeug. Auf dem Weg von Los Angeles nach San Francisco erkläre ich Sascha alles, was irgendwie für ihn interessant sein könnte, und wahrscheinlich auch ein paar Dinge darüber hinaus. Erledige jeden einzelnen Check gewissenhaft, mich nach Möglichkeit immer in der Nähe einer Notlandemöglichkeit bewegend. Es ist ein wunderbarer Flug die Küste hinauf nach Norden.


Nur für die Landung auf dem kleinen Platz von Half Moon Bay müssen wir in niedriger Höhe über dem Meer kreisen, um uns in den dichten, nicht von einem Fluglotsen geregelten Flugplatzverkehr einzureihen. Und da ist es so weit: Er setzt aus, der Motor. Das Denken auch, fast. Das gibt es doch einfach nicht. Das kann doch nicht sein. Nicht gerade heute, nicht gerade hier, nicht gerade jetzt.

In dieser Minute lerne ich den Wert des Trainings kennen. Zwar habe ich die Handgriffe, mit denen man einen in der Luft stehen gebliebenen Motor wieder in Bewegung zu setzen versucht, oft genug mit Fluglehrer geübt. Aber bisher war es immer eine große Anstrengung, einigermaßen schnell und gezielt zu handeln.

Nicht so in diesem Fall. Die Finger arbeiten fast ohne mein Zutun. Der Motor zündet wieder. Wir kurven zum Platz, ein Notruf wird abgesetzt, im Endanflug noch ein Aussetzer. Die Finger werden erneut aktiv. Wir sind schon in Gleitdistanz, Landung auf der Piste, der Propeller steht. Einmal noch springt der Motor an, und wir können die Landebahn räumen. Dann geht nichts mehr.

Sascha sagt wenig. Ich steige aus und finde einen Mechaniker, der uns, ein Kehlkopfmikrofon benutzend, von seinen Erinnerungen an unsere Heimat aus der Perspektive eines Bombercockpits erzählt. Er ist sehr hilfsbereit, kann das Problem aber auch am nächsten Tag nicht lösen. Von der Vermietungsfirma in Los Angeles treffen zwei Techniker ein. Eine eingehende Untersuchung ergibt schließlich einen Defekt im Treibstoffsystem, der Motor springt wieder an.

Und Sascha? Ich rechne fest damit, dass er unsere USA-Rundreise im Auto fortsetzen will. Und habe vollstes Verständnis. Doch alles, was er sagt, ist
Na ja, viel schlimmer wird‘s ja wohl nicht kommen, oder?

In den folgenden Wochen legen wir noch mehrere tausend Kilometer sicher zurück. Allerdings mit einem anderen Flugzeug.