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HORTENSE | ||||||
New York, Ende September: Eine starke atmosphärische Strömung treibt feuchtheiße Karibikluft vor sich her, die Küste hinauf gen Norden. Warm ist es in der Nacht unter dem Flügel des einmotorigen Flugzeugs, aufgeheizt der Asphalt des kleinen Flugplatzes. Am Morgen zeigen sich an Armen und Knöcheln die Stiche unzähliger Insekten, Profiteure dieser Wetterlage.
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Boston bleibt als Silhouette zurück und bald zeigen sich horizontgreifende Waldteppiche und die gletschergeschliffene Küste Maines. Anflug über Inseln und Buchten hinweg auf die kleine Stadt Eastport, gleich an der kanadischen Grenze: Das sollte reichen, um Hortense aus dem Weg zu gehen. Der Motor schweigt, eine wärmende Sonne scheint friedlich.
Nur 15 Minuten dauert der Flug über die Grenze, und schon steht der Zoll bereit, in Gestalt einer blau uniformierten, zuvorkommenden Beamtin. Und da die Bank nur Scheine herausgegeben hat, verschenkt sie auch gleich Münzen für das fällige Telefonat mit der Flugsicherung. Halifax ist jetzt mein Ziel, die größte Stadt Neuschottlands. Karg ist die Landschaft, ein kurzes Stück geht es über einen Ausläufer des herbstlichen Nordatlantik, und der Himmel beginnt sich zu verfinstern. Nicht nur, weil das Licht langsam schwindet. In Halifax neue Kunde vom Wetter: Hortense soll die Küste in Kanada erreichen. Bei Halifax.
In der Nacht erreicht der Sturm seinen Höhepunkt, mit Windstößen, die an Seilen wie Nerven zerren und gelegentlich eine Tragfläche anheben. Doch die Befestigungen halten. Wie auf Tauchfahrt drückt das Wasser gegen die Scheiben und findet durch die poröse Türdichtung auch den Weg ins Flugzeuginnere. Die Stunden vergehen bei ebenso kreativen wie wenig erfolgreichen Versuchen, die Schwachstelle zu beseitigen. Um drei Uhr morgens lässt der Wind etwas nach. Ich schlafe ein und gar nicht einmal schlecht. Zwei Tage dauert es, bis die Atmosphäre sich so weit beruhigt hat, dass an den Weiterflug denken kann. Noch immer türmen sich Wolkenmassen, als habe jemand mit einem großen Kochlöffel umgerührt. Mit erneuertem Respekt für die Kräfte der Natur suche ich einen Weg zwischen ihnen hindurch nach Süden.
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