aussichten: Royal National Park
             
             
   
  
     
         
             
      ROYAL NATIONAL PARK      
             
 
 

Sydneys internationaler Flughafen liegt an den Ufern einer oft vom Wind aufgewühlten Meeresbucht, die Teil einer oft vom Wind gebeutelten Küstenlandschaft ist. Stundenlang haben wir die vielgesichtigen, aber immer wilden Wüsten des australischen Kontinents überquert: Jetzt, am Ende des Fluges, freut sich das Auge über die vielen Schattierungen des Grüns dieser Küste und kann sich gar nicht sattsehen. Wenn man das oft genug erlebt hat, dann möchte man diese Landschaft nicht nur aus der Luft sehen, sondern auch aus der Nähe.

 

     
     

 

     
     

Dazu muss man sich dennoch aufraffen. Jedenfalls, wenn die Aufenthaltsdauer nicht mehr als 48 Stunden beträgt. Wenn die innere Uhr nur ganz, ganz langsam Abschied nimmt vom europäischen Zeitgefüge, und bei Anbruch des australischen Tages der Körper und Geist auf tiefste Nacht gestimmt sind. Vor allem, wenn einem, so wie mir, sehr frühes Aufstehen nicht unbedingt im Blut liegt.


Eine knappe Stunde nach dem Kreischen des Weckers dann, im Zug nach Südwesten, kann man sich wieder ein wenig dem Schlaf hingeben, denn es geht bis zur Endstation, nach Cronulla. Man steigt aus und reibt sich die Augen: Die große Ausdehnung Sydneys ist zurückgeblieben. Wenige Schritte nur trennen den Bahnhof von der Anlegestelle der winzigen Fähre, die die Bucht überquert und den Ort Bundeena ansteuert. Pelikane und andere Vögel streichen mit dem Wind über das Wasser. Ein paar der aufgeräumten Straßen des Ortes benutzend geht es bis zu einem sandigen Weg, von dem ein schmaler Pfad abzweigt: zum Royal National Park.


Und da bin ich, zwischen niedrigem Bewuchs, auf der rotbraunen australischen Erde, voraus das Meer, das noch nicht zu sehen, aber schon zu riechen ist, und plötzlich ist von Müdigkeit nichts mehr zu spüren. Die Füße wollen weiter, wollen erfahren, was hinter der nächsten Windung des Weges liegt, und es kann ihnen gar nicht schnell genug gehen. Der Wind fächelt Kühlung zu, die Sonne wärmt, abwärts geht es zu den Klippen, die in Stufen zum schäumenden Wasser abfallen. Alles scheint voll von Kraft und Energie.


Der Pfad folgt der Küste, bietet Augen und Füßen ständig Neues. Führt hinab in eine schattige Schlucht, hinauf auf ein weißfelsiges Plateau, mal durch dichten Bewuchs wie einen Tunnel, über hölzerne Stege, überquert Bäche, die steinerne Becken füllen. Hinunter dann zu einer menschenleeren Bucht mit einem feinen Sand, der einem die Schuhe auszieht. Weiter geht es, weiter, hinauf auf die Klippen, und plötzlich sind sie da, ganz unvermittelt: Die Wale. Unterwegs in die gleiche Richtung, ein wenig schneller, ohne es eilig zu haben, zwei Buckelwale auf ihrer Frühlingsreise in die Antarktis. Sie werfen sich aus dem Wasser und zeigen ihre Fluke. Es ist unmöglich, ihnen zuzusehen, ohne sich mitgerissen zu fühlen von dieser nicht an einen unmittelbaren Zweck gebundenen Energie, dieser unbedingten Daseinsfreude, die in ihren Bewegungen liegt.


Vierundzwanzig Stunden später: Start in Richtung Südwesten mit Ziel Kuala Lumpur, und im letzten Licht des Tages bleibt sie hinter der rechten Tragfläche zurück, diese Märchenlandschaft mit ihren kleinen und großen Wundern.